Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten

Das neue Buch von Christian Kracht, den ich bewundere, seit ich in seinem Erstlingswerk Faserland auf der zweiten Seite folgenden Satz gelesen habe:

Ich zünde mir eine Zigarette an, und während Karin weitererzählt, beobachte ich, wie ein schwarzer Windhund mit einem Halsband, auf das so winzige goldene Kühe geklebt sind, eine grosse Kackwurst neben einen Tisch setzt.

Sehr beeindruckend. Das neueste Buch mit diesem wunderbaren Titel hingegen verstehe ich überhaupt nicht. Völlig ratlos bleibe ich zurück. Der Plot: Lenin ist nicht nach Russland zurückgekehrt, sondern hat die Kommunistische Revolution in der Schweiz angezettelt. Seit annähernd 100 Jahren herrscht Krieg zwischen den Schweizer Kommunisten, die afrikanische Soldaten rekrutieren, und den umliegenden Faschisten. Kein Lebender kennt den Frieden. Alles sehr düster, brutal, grobschlächtig. Die letzten beiden Seiten geben Anlass zu Hoffnung, aber trotzdem. Ich mag die Sprache, nicht aber den Inhalt. Da liegt was in der Tiefe verborgen, es schwelt unter der Oberfläche, aber ich wurde seiner nicht habhaft. Leider.

Fleisch ist mein Gemüse

Ich habe das gleichnamige Buch gelesen (sehr unterhaltsam) und der Titel hat mich dazu bewogen, endlich in die Welt der Fleischzubereitung vorzudringen. So habe ich innerhalb einer Woche drei Fleischgerichte ausprobiert:

  • Hähnchencurry
  • Schweinefleisch süss-sauer
  • Saftgulasch (Königsdisziplin)

Gulaschzubereitung Nerven zehrend, frage nicht, das Rindfleisch hat meine Zeitplanung arg zerrüttet. Die Fleisch-Zwiebel-Masse köchelte stundenlang vor sich hin, doch das Köcheln wollte kein Ende nehmen. Ich bin zwischendurch laufen gegangen, um nach meiner Rückkehr leicht konsterniert festzustellen, dass noch immer kein Ende in Sicht war. Kurz vor meiner Abreise musste ich das Gericht für vollendet erklären; manche Fleischstücke waren zart, andere noch ein wenig zäh (unabhängig von der Grösse), da waren offenbar verschiedene Tiere im Spiel.
Es wurde mir noch am selben Abend glaubhaft versichert, dass das Gulasch gut geschmeckt hat, wobei es anzumerken gilt, dass das Urteil der EsserInnen stets wohlwollend ausfällt.
Literarisch geht es weiter mit Neue Vahr Süd von Sven Regener (Herr Lehmann). Bisschen langweilig zu Beginn, danach nimmt es Fahrt auf, echt unterhaltsam ab Seite 200. Dann aber zurück zu ernsten Themen, Die Wohlgesinnten warten, vorher aber noch Le Horla, um mich vor dem Frankreich-Aufenthalt in zwei Wochen sprachlich auf Niveau zu bringen. Bezweifle aber, dass ich das schaffen werde. Da kann man nicht in 10 Tagen wettmachen, was man in sechs Monaten rumlümmeln vergeben hat. So ist das Leben oder C’est la vie.

Der letzte Brenner

Vor einigen Tagen, frühmorgens um 6:30, wachte ich auf und weil ich weder müde noch schlaftrunken war, schlug ich den letzten ungelesenen Brenner-Roman Wie die Tiere auf und las ihn zu Ende. Das Buch, wunderbar wie immer, doch ich, nicht sehr konzentriert, denn ein Gedanke liess mich nicht los: dies ist der Abschluss einer Ära. Als ich das Büchlein aus der Hand legte, waren da zwei widersprüchliche Gefühle in mir: zunächst eine grosse Leere, der Verlust wog schwer, nie wieder Brenner begleiten dürfen, dann aber stieg eine angenehme Wärme von der Körpermitte in meinen Kopf. Muss die Dankbarkeit für die wunderbaren Stunden gewesen sein, für die enthemmten Lacher, für die eigenwillige Sprache, für die syntaktischen Verknappungen. Ich werde Sätze vermissen wie diesen:
Aber interessant. Ob es nicht doch irgendeine höhere dings gibt. Dass der Brenner die Magdalena womöglich irgendwie über eine innere Verbindung gehört hat.
Herrlich, das kann nur Wolf Haas.
Der Vollständigkeit halber nochmals alle Romane in chronologischer Reihenfolge meiner Belesung:

  • Der Knochenmann
  • Auferstehung der Toten
  • Das ewige Leben
  • Silentium!
  • Komm, süsser Tod
  • Wie die Tiere

Den Brenner-Kennern unter euch wird aufgefallen sein, wie sich meine Sprache nach der Lektüre unweigerlich hin zu elliptischen Formen neigte, quasi mentale Abfärbung. Eine Offenbarung, dieses literarische Mittel.

Durch den Schnee

Erschütternd ist ein zu schwaches Wort, um zu Beschreiben, was Warlam Schalamow überlebt hat. In seinem Werk Durch den Schnee schildert er (Über)leben und Sterben in sibirischen Arbeitslagern, in denen er 17 Jahre seines Lebens verbracht hat. Kein bekömmliches Buch, bleiern liegt es im Magen, aber es ein wichtiges Zeitdokument, das Zeugnis ablegt über eine grausame unerbittliche brutale Welt. Kauft das Buch und lest es, und vergesst nicht, was da geschrieben steht.
Am Ende einige Erkenntnisse:

  • Ich habe gesehen, dass die einzige Gruppe von Menschen, die sich auch nur ein wenig menschlich benahm trotz Hunger und Verhöhnungen – die Religiösen sind, die Sektenmitglieder, und zwar fast alle, sowie ein grosser Teil der Popen.
  • Ich habe erkannt, dass man aus der Erbitterung leben kann.
  • Ich habe erkannt, dass man aus der Gleichgültigkeit leben kann.
  • Ich habe erkannt, warum der Mensch nicht aus den Hoffnungen lebt – es gibt keinerlei Hoffnungen, nicht aus dem Willen – was schon für ein Wille, sondern aus dem Instinkt, dem Selbsterhaltungstrieb – demselben Prinzip, wie auch der Baum, der Stein, das Tier.
  • Ich bin stolz, dass ich niemanden verkauft, niemanden in den Tod, in eine Haftstrafe geschickt, dass ich niemanden denunziert habe.

Das ist er:

schalamow

 

Wenn du das nächste Mal das Gefühl hast, huiii, heute ist aber kalt:

Ein Thermometer bekamen die Arbeiter nicht zu sehen, und das war auch nicht nötig, zur Arbeit ausrücken mussten sie bei jeder Temperatur. Ausserdem konnten Alteingesessene den Frost auch ohne Thermometer fast exakt bestimmen: wenn Frostnebel herrscht, dann sind es draussen minus vierzig Grad; wenn die Luft beim Atmen mit Geräusch ausfährt, doch das Atmen noch nicht schwer wird, sind es fünfundvierzig; wenn das Atmen ein Geräusch macht und Kurzatmigkeit dazukommt, sind es fünfzig Grad. Bei über fünfzig Grad – gefriert die Spucke in der Luft. Die Spucke gefror in der Luft schon seit zwei Wochen.

Die Wohlgesinnten

Ich halte das literarische Erdbeben dieses Jahres in meinen Händen: Die Wohlgesinnten von Jonathan Littell. Erzählt wird die Geschichte eines SS-Offiziers im Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive des SS-Offiziers. Viel wurde über das Buch geschrieben, es war ein Sensationserfolg in Frankreich (der Verleger glaubte, 8000 Stück davon zu verkaufen, es gingen 1 Million Exemplare über die Ladentheken). Einige Kritiker sprechen von einem Jahrhundertwerk, andere erkennen darin bloss dummes Geschwätz, einen Schundroman. Bald schon werde ich das Buch lesen und darüber berichten.

Wolf Haas lesen

Es ist einige Monate her, seit mein Mitbewohner Strub mit einem schelmischen Lächeln und einem schmalen Büchlein in der Hand in mein Zimmer trat. Wolf Haas, sagte er, ein guter Autor. Du musst dieses Buch lesen. Unbedingt. Und also las ich das Buch wie mir gehiessen. Es dauert einige Seiten, bis man sich an Haas’ eigenartige elliptische Sätze gewöhnt hat, aber dann: Riesenspass. Auf Der Knochenmann folgte Auferstehung der Toten und darauf Das ewige Leben. Es sind Kriminalromane mit aussergewöhnlich dürftigem Plot, aber von umwerfender sprachlicher Schönheit (auf eine sehr spezielle Art). Es sind die Ellipsen, mein lieben Freunde, die Ellipsen.
Man sieht dem Brenner einfach gerne zu, wenn er sich durch sein Leben wurstelt, durch die Gänge schleicht, Leute befragt, beobachtet, beschreibt, seine latenten Kopfschmerzen bekämpft.
Credits an Strub für den Tipp. Sobald er Silentium! aus der Hand gelegt hat, bin ich am Zuge, frage nicht.

1kg Küng

Ich lese nicht mehr viel in letzter Zeit, aber Max Küngs Kolumnen- und Reportagensammlung hat es mir angetan.

kueng

Ein Klobuch im besten Sinne: unterhaltsam, kurzweilig, witzig.