Überall ist Leben

Ich habe Ferdinand von Schirachs Erzählband Nachmittage fertig gelesen. Das Buch endet mit einer bezaubernden Szene: Schirach fährt nach Duisburg, um in einer Giacometti-Ausstellung Die Frau auf dem Wagen zu betrachten. Danach verlässt er das Museum und geht in den Park nebenan. Dann diese beiden Sätze:

Unter einer Ulme setze ich mich im Park auf eine Steinmauer. Und überall ist Leben, überall.

Cyrulink

Boris Cyrulnik entkommt als 6-Jähriger knapp dem Tod im Vernichtungslager.

Auszüge aus einem Interview im DER SPIEGEL (Nr. 10, 4.3.2023):

SPIEGEL: Wie sind Sie entkommen?

Cyrulink: Vor der Synagoge standen zwei Tische. An jedem Tisch saßen zwei Franzosen, dazwischen stand ein deutscher Offizier, der mit einem Stock nach rechts oder nach links zeigte. Ich hörte von den Leuten um mich herum, dass an dem einen Tisch alle erfasst wurden, die umgebracht werden sollten. Am anderen Tisch wurden alle registriert, die in Deutschland oder Frankreich arbeiten sollten. Aber ich wusste nicht, welcher es jeweils war. Ich hörte die Leute sagen: Du musst so tun, als ob du krank bist. Nein, sagten andere, dann wirst du auf jeden Fall getötet. Mir wurde da erst klar, dass die Männer in Uniform uns töten lassen wollten. Plötzlich wusste ich: Du musst hier weg!

SPIEGEL: Und dann?

Cyrulink: Weil ich klein war, konnte ich mich über der Toilettenspülung verstecken. Ich habe dort starr gesessen, und mit einem Mal war es still. Alle anderen waren abtransportiert worden. Ich bin auf die Straße gelaufen, da stand eine Schwester vom Roten Kreuz neben einem Krankenwagen, und auf einer Bahre lag eine schwer verletzte Frau. Die Schwester winkte mir zu, ich solle mich unter der Frau verstecken. Dann gab ein deutscher Soldat das Zeichen zur Abfahrt. Ich glaube bis heute, dass er mich absichtlich übersehen hat. So ist der Krieg, so sind alle Kriege. Ein unerklärliches Nebeneinander von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. So wie gerade in der Ukraine.

Ein unerklärliches Nebeneinander von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit.

43

Zum 43. eine Passage aus Ferdinand von Schirachs Buch “Nachmittage”, die nachhallte. Es geht um den Künstler Alberto Giacometti.

Giacometti sagt, er müsse immer arbeiten, sein Leben sei monoton, wie das eines Gefangenen. Obwohl er ein sozialer Mensch ist und viele der Künstler ihn damals in seinem Atelier besuchen, sagt er am Ende seines Lebens: “Ich war einsam. Ich beklage mich nicht. Es war sehr angenehm.”

Nachmittage

Aus dem neuen Buch “Nachmittage” von Ferdinand von Schirach:

Es gibt Geschichten, die man nur in einer solchen Bar nachts einem Fremden erzählen kann. Draussen gehen Menschen weiter in Clubs, in Karaoke-Bars und Restaurants, sie verkleiden sich und lieben sich und hassen sich und sind sich gleichgültig, aber man selbst gehört für einen kurzen Moment nicht mehr dazu und fällt aus der Zeit. Hier oben in dieser Bar, hoch über der grössten Stadt der Welt, hört man die sanfte Stimme der Sängerin, sie singt Billy Joels And So It Goes und Chat Bakers I’m Old Fashioned, und es gibt nur das Klirren der Gläser, die leisen Anweisungen der Kellner und die gedämpften Stimmen der anderen Gäste. Später gehen alle nach Hause, die Welt beginnt erneut mit all ihren Farben und ihrem Lärm und ihrer Aufgeregtheit, und man sieht sich nie wieder. Es sind nicht die Geschichten der Sieger, nicht die lauten Sätze, die man auf Golfplätzen und in Flughafenlounges hört. Es sind leise Erzählungen von verregneten Nachmittagen und von schwarzen Nächten, und die Helden haben das Spiel endgültig verloren. Aber diese Geschichten beschützen uns vor der Einsamkeit, den Verletzungen und der Kälte. Und am Ende sind sie das Einzige, was uns wirklich gehört.

We’ll see

A farmer had only one horse. One day, his horse ran away.

His neighbors said, “I’m so sorry. This is such bad news. You must be so upset.”

The man just said, “We’ll see.”

A few days later, his horse came back with twenty wild horses following. The man and his son corralled all twenty-one horses.

His neighbors said, “Congratulations! This is such good news. You must be so happy!”

The man just said, “We’ll see.”

One of the wild horses kicked the man’s only son, breaking both his legs.

His neighbors said, “I’m so sorry. This is such bad news. You must be so upset.”

The man just said, “We’ll see.”

The country went to war, and every able-bodied young man was drafted to fight. The war was terrible and killed every young man, but the farmer’s son was spared, since his broken legs prevented him from being drafted.

His neighbors said, “Congratulations! This is such good news. You must be so happy!”

The man just said, “We’ll see.”

Positiv

Jetzt hat es mich doch noch erwischt.

Am selben Tag, an dem Go 1.18 veröffentlicht wurde, färbten sich die C- und T-Linien rot.

Milde Symptome (3 x 💉; yeah science!), danke der Nachfrage.

Wir sind alle hier

Russland greift am frühen Morgen des 24.02.2022 die Ukraine an. Präsident Zelensky und seine Minister bleiben in Kiew. Ein Rettungsangebot der Amerikaner lehnt er mit den Worten ab: “Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit.”

Quelle: The Telegraph (25.02.2022)