Noch wach?

Vor 20 Jahren habe ich mich der Popliteratur zugewandt, zunächst Christian Kracht (Faserland) gelesen, grossartig, habe ich gedacht, gleich weiter zu Stuckrad-Barre: Soloalbum. Hat mich aber wenig begeistert. Also habe ich Stuckrad-Barre für viele Jahre aus den Augen verloren, links liegen lassen, bis zu Panikherz. Ich schlug den Roman auf in der Buchhandlung und werde auf der ersten Seite eines Jörg-Fauser-Zitats gewahr:

Die längsten Reisen fangen an, wenn es auf den Strassen dunkel wird.

Unterdessen grosser Jörg-Fauser-Fan, Werksaufgabe verschlungen, kann also nicht schlecht sein, wenn jemand ein Fauser-Zitat seinem Lebensbericht voranstellt. Panikherz gekauft, gelesen, sofortige und bedingungslose Versöhnung mit Stuckrad-Barre.

Jetzt also das neue Werk Noch wach? Von der Kritik kritisch aufgenommen, es soll der deutsche #MeToo Roman sein, Stuckrad-Barre dank seiner Nähe zum Chef des Axel-Springer-Verlags im Auge des Orkans. Ernstes Thema, aber Stuckrad-Barre zum Brüllen komisch wie immer, ein Wortgewaltiger, Sprachfeuerwerk Hilfsausdruck. Für mich ist Sprache häufig wichtiger als Inhalt, in dem Sinne ein gelungener Roman.

Und immer wieder wirft Stuckrad-Barre uns bedenkenswerte Zitate vor die Füsse, zwei sind mir im Gedächtnis hängen geblieben:

S. 52: Die Feinde wurden plattgemacht, und wer dabei half, war fortan Verbündeter, jedoch auch das immer nur bis auf Weiteres, man musste seine Loyalität immer wieder neu unter Beweis stellen. Loyalität war eines der Wörter, die er am häufigsten benutzte – ich dachte, speziell bei ihm, dann immer an die ewiggültigen Worte des seligen Wiglaf Droste:

“Loyal” heisst das Hundefutter bei Aldi.

S. 80: Mir fielen Worte des grossen Roger Willemsen ein, der beim Durchwandern einer deutschen Stadt einmal diese Art Fortschrittstragik voller Wehmut so beschrieb:

Voller Medienkompetenz und Know-How im Kopf – aber ohne Know-Why.