Cyrulink

Boris Cyrulnik entkommt als 6-Jähriger knapp dem Tod im Vernichtungslager.

Auszüge aus einem Interview im DER SPIEGEL (Nr. 10, 4.3.2023):

SPIEGEL: Wie sind Sie entkommen?

Cyrulink: Vor der Synagoge standen zwei Tische. An jedem Tisch saßen zwei Franzosen, dazwischen stand ein deutscher Offizier, der mit einem Stock nach rechts oder nach links zeigte. Ich hörte von den Leuten um mich herum, dass an dem einen Tisch alle erfasst wurden, die umgebracht werden sollten. Am anderen Tisch wurden alle registriert, die in Deutschland oder Frankreich arbeiten sollten. Aber ich wusste nicht, welcher es jeweils war. Ich hörte die Leute sagen: Du musst so tun, als ob du krank bist. Nein, sagten andere, dann wirst du auf jeden Fall getötet. Mir wurde da erst klar, dass die Männer in Uniform uns töten lassen wollten. Plötzlich wusste ich: Du musst hier weg!

SPIEGEL: Und dann?

Cyrulink: Weil ich klein war, konnte ich mich über der Toilettenspülung verstecken. Ich habe dort starr gesessen, und mit einem Mal war es still. Alle anderen waren abtransportiert worden. Ich bin auf die Straße gelaufen, da stand eine Schwester vom Roten Kreuz neben einem Krankenwagen, und auf einer Bahre lag eine schwer verletzte Frau. Die Schwester winkte mir zu, ich solle mich unter der Frau verstecken. Dann gab ein deutscher Soldat das Zeichen zur Abfahrt. Ich glaube bis heute, dass er mich absichtlich übersehen hat. So ist der Krieg, so sind alle Kriege. Ein unerklärliches Nebeneinander von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. So wie gerade in der Ukraine.

Ein unerklärliches Nebeneinander von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit.