Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace

1996 veröffentlichte der Cyberpionier John Perry Barlow als Reaktion auf den “Telecommunication Reform Act” der US-amerikanischen Regierung eine Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace.
Hat mit der Wikileaks-Affäre und den flächendeckenden Angriffen auf Firmen, die Wikileaks die finanzielle Grundlage entziehen wollten (PayPal, Mastercard, Post Finance), wieder an Aktualität gewonnen.

; (manchmal etwas zu freie) Übersetzung des Textes
; “A Declaration of the Independence of Cyberspace”
; Quelle: https://projects.eff.org/~barlow/Declaration-Final.html
; by 7h3linguist, zur kostenlosen Verbreitung
; Übersetzungsart: MAHT
; Version: 0.1

Erklärung für die Unabhängigkeit des Cyberspace

Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich euch, euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe lassen. Ihr seid bei uns nicht willkommen. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.

Wir haben keine Regierung gewählt, noch werden wir jemals eine haben. Also spreche ich mit keiner geringeren Autorität als mit jener, mit der die Freiheit selbst spricht. Ich erkläre hiermit, dass wir einen globalen, sozialen Raum bauen werden, unabhängig von der Tyrannei, die Ihr versucht, uns aufzuzwingen. Ihr habt kein moralisches Recht uns zu regieren, noch besitzt ihr Möglichkeiten, uns zu zwingen. Somit fürchten wir euch nicht.

Regierungen leiten ihr Recht zu Regieren von der Einwilligung der Regierten ab. Ihr habt diese Einwilligung von uns nie erbeten, noch haben wir sie euch gewährt. Wir haben Euch nicht eingeladen. Ihr wisst nichts über uns, noch über unsere Welt. Der Cyberspace lässt sich nicht in eure Grenzen zwingen. Denkt nicht, dass man den Cyberspace planen und errichten kann, wie ihr ein öffentliches Bauprojekt angehen würdet. Das funktioniert nicht. Der Cyberspace entwickelt sich in einer natürlichen Weise, er wächst mit unserer Kreativität und unserem kollektiven Engagement.

Ihr habt weder etwas zu unserem großen Austausch beigetragen, noch habt ihr unsere Foren bereichert. Ihr wisst nichts über unsere Kultur, unsere Ethik oder die ungeschriebenen Regeln, die unsere Gesellschaft besser organisieren, als es eure jemals könnten.

Ihr behauptet, dass es in unsere Welt Probleme gibt und dass ihr sie lösen müsstet. Ihr verwendet dies als Vorwand, um unsere Welt euch zu unterwerfen. Die meisten dieser Probleme existieren nicht. Wo es echte Konflikte, wo es Unrecht gibt, werden wir sie selbst identifizieren und ihnen mit unseren Mitteln begegnen. Wir vereinbarten unseren eigenen Gesellschaftsvertrag. Dieser ist nicht nach eurem Vorbild in eurer Welt geschrieben – denn unsere Welt ist anders.

Der Cyberspace besteht aus Transaktionen, Beziehungen und dem Denken selbst, aufgestellt wie eine stehende Welle im Netz der Kommunikation. Wir leben in einer Welt, die überall und nirgends ist; aber sie ist nicht dort, wo Körper leben.

Wir erschaffen eine Welt, die allen zugänglich ist, ohne Bevorzugung oder Vorurteil bezüglich “Rasse”, wirtschaftlicher, militärischer Macht oder dem Geburtsort.

Wir erschaffen eine Welt, in der jeder Mensch überall sein oder Überzeugungen ausdrücken kann, egal wie sonderbar sie auch sein mögen. Und zwar ohne Angst davor, zensiert zu werden oder in der Stille der Konformität einzugehen.

Eure Rechtsvorstellungen von Eigentum, Redefreiheit, Persönlichkeit, Freizügigkeit und gesellschaftlichem Kontext gelten nicht für uns. Sie gründen alle auf euren Belangen, aber diese gibt es hier nicht.

Unsere Identitäten haben keine Körper, somit können wir nicht durch physische Gewalt gezwungen werden. Wir glauben, dass aus der Ethik, aufgeklärtem Eigeninteresse und dem Gemeinwohl eine [für uns geeignete] Administration entsteht. Unsere Identitäten mögen möglicherweise vielen Rechtssprechungen eurer Welt unterstellt sein. Aber das einzige Gesetz, dass all unsere entstandenen und noch entstehenden Kulturen allgemein anerkannt haben, ist die Goldene Regel [also keine Regeln, Anm. d. Ü.]. Wir hoffen, wir können mit diesem Ansatz eine Grundlage für unsere Welt legen. Aber wir können nicht akzeptieren, dass Ihr versucht, eure Lösungen durchzusetzen.

In den Vereinigten Staaten habt ihr heute ein Gesetz geschaffen, den Telecommunications Reform Act[1996, Anm. d. Ü.] , das die eigene Verfassung herabwürdigt und entgegen den Träumen von Jefferson, Washington, Mill, Madison, DeToqueville und Brandeis wirkt. Wir müssen uns nun dieser Träume annehmen.

Ihr habt Angt vor euren eigenen Kindern, weil sie die Eingeborenen einer Welt sind, in der ihr immer Fremde bleiben werdet. Und weil ihr sie fürchtet, setzt ihr euren Bürokratismus auf sie an, um sie zu überwachen und zu kontrollieren. In unserer Welt sind alle Gefühle und Ausdrucksformen der Menschheit, von den Niedrigsten bis zu den Höchsten, Teile eines nahtlosen Ganzen, der globalen Konversation der Bits. Wir können die Luft nicht trennen, die zum Einen dem Flügel Widerstand bietet und ihn zum Anderen und somit in die Höhe treibt.

In China, Deutschland, Frankreich, Russland, Singapur, Italien und den Vereinigten Staaten versucht ihr zur Abwehr des Viruses der Freiheit Wachposten an den Grenzen des Cyberspace zu errichten. Diese können für eine bestimmt Zeit seine Verbreitung aufhalten. Aber sie werden einstürzen, sobald sich der Mantel des digitalen Medienzeitalters über eure Welt legt.

Eure zunehmend überflüssigen Informationsindustrien würden sich gerne durch Gesetze weiterhin in ihrer jetzigen Form am Leben erhalten; als einzig anerkannte Sprachrohre dieser Welt. Diese Gesetze würden Ideen wieder zu industriellen Produkten erklären, zu nicht mehr als Roheisen. In unserer Welt kann, was auch immer menschlicher Geist ersinnt, reproduziert und weitergeben werden – und dies kostenlos. Die weltweite Weitergabe von Ideen und Gedanken ist nicht mehr auf eure “Fabriken” angewiesen.

Eure zunehmend feindseligen und kolonialen Maßnahmen versetzen uns in die gleiche Position wie die früheren Liebhaber der Freiheit und Selbstbestimmung, die die Behörden ferner und ignoranter Mächte zurückweisen mußten. Wir müssen unser virtuelles Selbst immun gegen eure Souveränität erklären, auch wenn ihr weiterhin Herrschaft über unsere Körper habt.

Wir werden uns über den gesamten Planeten ausbreiten, auf dass unsere Gedanken frei bleiben.

Wir erschaffen eine Zivilisation des Geistes im Cyberspace. Möge sie humaner und gerechter sein, als jene in eurer Welt, die eure Regierungen vor uns erschaffen haben.

Davos, Schweiz

8. Februar 1996